Arbeitszeitenmodell Vier-Tage-Woche: Eine Expertin aus Erfahrung
Fragen wir eine, die sich auskennt: Christine Waldmann ist Gründerin und CEO der growth360 GmbH, einer erfolgreichen Performance Marketing Agentur in Poing bei München. Das Besondere? Seit der Gründung im Herbst 2019 setzt sie in ihrem Unternehmen auf die Vier-Tage-Woche – konsequent und ausnahmslos. Und das ist keine hippe Floskel, sondern eine grundsolide Haltung zu Leistung, Wertschätzung und Kultur.
In ihrer Agentur growth360 zählt sie inzwischen 13 Mitarbeiter:innen - eine stattliche Anzahl, drei Jahre nach der Gründung. Allesamt arbeiten 32 Stunden pro Woche. Hierbei darf gewählt werden, ob die Arbeitswoche aus vier Tagen á 8 Stunden oder drei Tagen á 8 Stunden und zwei Tagen á 4 Stunden gearbeitet werden möchte. Bei letzterem Modell sind die beiden kurzen Tage nur am Montag und Freitag möglich. Damit ist die Kernzeit klar: Dienstag, Mittwoch und Donnerstag sind auf jeden Fall alle ganztägig an Bord.
Klar strukturiert und präzise
Ist das nicht ein erheblicher Steuerungsaufwand? „Natürlich müssen wir effizient sein und sehr präzise arbeiten“, so Christine Waldmann. „Genau das tun wir, deshalb bekommen wir den Speed auf die Straße!“ Die Vier-Tage-Woche hat klare Strukturen:
- Ist der Rhythmus der Arbeitstage einmal ausgewählt, bleibt er so.
- Es gelten die Kernarbeitstage für alle.
- Effizienz ist das Top-Thema alle drei Monate im Teamfeedback.
- Eine clevere Projektstruktur sorgt für einen reibungslosen Workflow.
Und es gilt, unerwünschte Effekte zu vermeiden wie beispielsweise die „Überstundenfalle“: Auf der Zielgeraden eines Kunden-Projekts würde bei growth360 niemand auf die Idee kommen, den Stift fallen zu lassen, weil die Wochenarbeitszeit erreicht ist. Ein üppiges Überstundenkonto aber widerspräche dem Gedanken der 32-Stunden-Woche. Die Lösung? Das Flex-Konto, mit dem die Überstunden so abgebaut werden, wie sie aufgebaut wurden: stundenweise.
Die Vier-Tage-Woche und das Thema Gehalt
Ein zentrales Thema in vielen Studien zur Vier-Tage-Woche ist das Thema Gehalt. Im Prinzip stehen drei Varianten zur Auswahl. Variante 1: 100% Arbeit werden auf vier Tage statt fünf Tage verteilt, also gleichbleibende Wochenarbeitszeit und gleichbleibendes Gehalt. Variante 2 hieße vier Tage zu arbeiten mit reduzierter Wochenarbeitszeit und reduziertem Gehalt. Laut einer Veröffentlichung des Statistik-Portals Statista vom September 2022 finden die meisten Befragten diese Option nicht gut. Interviewt wurden knapp 3.900 Personen im erwerbsfähigen Alter, und deren Präferenz ist eindeutig Variante 3: Die Vier-Tage-Woche mit reduzierter Arbeitszeit bei gleichbleibendem Einkommen. Man spricht hier vom Modell „100-80-100“ und meint damit 100 Prozent Lohn für 80 Prozent Arbeitszeit bei 100 Prozent Produktivität.
Die Frage nach angemessenen und für die Mitarbeitenden interessanten Gehältern trieb Christine Waldmann in ihrer Startphase ebenfalls um. So war der Anfang nicht ganz leicht, doch mit dem stetigen Erfolg ist growth360 bei den Gehältern schnell auf einem wettbewerbsfähigen Niveau im Agenturgeschäft angelangt.
In mehreren europäischen Ländern ist das Recht auf eine Vier-Tage-Woche schon verankert. Dabei sind die Zeit- und Entlohnungsmodelle jedoch sehr unterschiedlich:
Island: Seit 2021 gibt es hier ein Recht auf eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn. Dieses Recht ist das Ergebnis von mehrjährigen Tests der Vier-Tage-Woche mit wissenschaftlichen Auswertungen.
Auch in Belgien dürfen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vier statt fünf Tage die Woche arbeiten – allerdings bei gleichbleibender Wochenarbeitszeit von üblicherweise 38 Stunden. Das heißt: Ein belgischer Angestellter arbeitet an vier Tagen je 9,5 Stunden.
In Großbritannien und Spanien ist die Vier-Tage-Woche noch nicht offiziell eingeführt, aber Pilotprojekte in beiden Ländern zeigen eine eindeutige Tendenz für die vier Tage. In Spanien sollen die Wochenarbeitsstunden um mindestens zehn Prozent gekürzt werden; in Großbritannien sind die meisten Unternehmen im Anschluss an die Studie bei der Vier-Tage-Woche geblieben.
Glücklich statt geknickt
Hat die Vier-Tage-Woche denn auch Nachteile? Nach drei Jahren und drei Monaten ist die Gründerin Waldmann mehr denn je von ihrer Entscheidung überzeugt: Die Vier-Tage-Woche steht nicht nur für Motivation, Leistungsbereitschaft, geringe Fehlzeiten und hohe Wirksamkeit, sondern auch dafür, dass sie glückliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat. Und „glückliche Leute im Team machen glückliche Kunden“. Auch an einer weiteren Stelle erleichtert die Vier-Tage-Woche das Leben der CEO: Keine Opportunitätskosten durch gestresste Kolleg:innen, durch demotivierte Mitarbeitende oder durch Job-Hopper, die nach kurzer Zeit genervt ein Unternehmen wieder verlassen.
Große Vier-Tage-Woche-Studie in England: Positive Effekte
Diese Erkenntnis, die Christine Waldmann in ihrem Unternehmen in Poing bei München gewonnen hat, deckt sich mit den Ergebnissen einer großen, aktuellen Studie zur Vier-Tage-Woche im Rahmen eines Pilotprojekts in Großbritannien. Zwischen Juni und Dezember 2022 untersuchten Wissenschaftler:innen des Boston College und der Cambridge University die Wirkungen einer Vier-Tage-Woche in 61 unterschiedlich großen Unternehmen mit insgesamt rund 2.900 Beschäftigten. Weitere Infos über das Pilotprojekt gibt‘s hier.
Den Ergebnissen zufolge bietet die Vier-Tage-Woche Chancen für die Wirtschaftlichkeit: Leistung, Produktivität und Rentabilität im Unternehmen steigen, während im Vergleichszeitraum die Fluktuation um mehr als die Hälfte sinkt. Dem Modell wird gleichzeitig eine günstige Wirkung auf die Gesundheit der Mitarbeitenden zugeschrieben. Sie haben weniger Stress, schlafen besser, sind entspannter und damit insgesamt psychisch und physisch stabiler. Die positive Folge: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind seltener krank. Sehr gute Bewertungen bekommt die Vier-Tage-Woche auch von Menschen, die zu Hause Familienmitglieder versorgen, sich um die Kinder kümmern und sozial engagiert sind – dafür bleibt mehr Zeit, und die Aktivitäten sind einfacher zu koordinieren.
Und es geht doch!
Ob sich das Modell der Vier-Tage-Woche in jedem Unternehmen gut implementieren lässt, ist pauschal nicht zu beantworten. Das Beispiel von growth360 zeigt jedoch, dass eine Abkehr von starren Arbeitszeitmodellen nicht nur möglich ist, sondern den Erfolg eines Unternehmens fördern kann. Insbesondere die Kombination aus Flexibilität und neuen Routinen sorgt für gute Arbeitsergebnisse. Für Unternehmen, die die Umstellung in Erwägung ziehen, sind eine moderne Arbeitsorganisation, präzises Management und die Digitalisierung einige der effektiven Werkzeuge für den Wandel. Fakt ist auch: Der Wettbewerb um gute Fachkräfte zählt zu den Treibern für die Vier-Tage-Woche. Christine Waldmanns Fazit: „Für uns ist das ein erfolgreiches Alleinstellungsmerkmal, auch als Arbeitgeber: Menschen kommen von sich aus auf uns zu, weil sie bei uns arbeiten wollen.“
In mehreren europäischen Ländern ist das Recht auf eine Vier-Tage-Woche schon verankert. Dabei sind die Zeit- und Entlohnungsmodelle jedoch sehr unterschiedlich:
Island: Seit 2021 gibt es hier ein Recht auf eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn. Dieses Recht ist das Ergebnis von mehrjährigen Tests der Vier-Tage-Woche mit wissenschaftlichen Auswertungen.
Auch in Belgien dürfen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vier statt fünf Tage die Woche arbeiten – allerdings bei gleichbleibender Wochenarbeitszeit von üblicherweise 38 Stunden. Das heißt: Ein belgischer Angestellter arbeitet an vier Tagen je 9,5 Stunden.
In Großbritannien und Spanien ist die Vier-Tage-Woche noch nicht offiziell eingeführt, aber Pilotprojekte in beiden Ländern zeigen eine eindeutige Tendenz für die vier Tage. In Spanien sollen die Wochenarbeitsstunden um mindestens zehn Prozent gekürzt werden; in Großbritannien sind die meisten Unternehmen im Anschluss an die Studie bei der Vier-Tage-Woche geblieben.