Stau ist für Schafe. Stau ist für Leute, die ihr Leben verbummeln. Die am Bahnhof, im Kaufhaus wie gepflanzt auf der Rolltreppe stehen, das horizontale Laufband am Airport blockieren und es für normal halten. Ein Gräuel für alle Dynamiker, die federnden Schritts das Leben durchmessen. Darum: «Pardon, pardon! », wie der Pariser sagt. Ellenbogen raus – wie es der Pariser vormacht und sich vorbeigezwängt! Denn Stau, in welcher Konstellation auch immer, ist blöd. Ich will hier raus, macht endlich Platz, ihr Landeier, die Überholspur wurde nicht für euch angelegt, hieße sie sonst Überholspur?
Spüren Sie, wie in wenigen Sätzen Zorn aufbraust? Die Vorstellung, ausgebremst zu werden, zum Stillstehen verdammt, zum belämmerten Schaf gemacht – sie weckt Widerstand bis hin zu klaustrophobischen Ängsten. Niemand mag Staus. Aber es soll Leute geben, die bleiben ruhig. Drehen den Motor ab, nehmen die Füße von den Pedalen, sinken wohlig zurück in die Schaumstoffsitzschale. Na toll.
Der ADAC erteilt zur Ferienzeit unbestellt und gratis wertvolle Ratschläge: Ruhe bewahren! Auf der Autobahn niemals wenden! Benutzung des Standstreifens unter Androhung der Todesstrafe verboten!
Aber über Staus lässt sich hemmungslos plaudern und rechthaberisch reden. Besonders schlimm, erzählt der Verkehrspsychologe Karl-Friedrich Voss im Deutschlandradio Kultur, sei der ungeklärte Stau: Warum, zur Hölle, geht es hier nicht weiter?! Unfall? Spurverengung? Baustelle? Oder, so wie meistens: absolut kein Indiz! Voss rät: Steigen Sie aus, diskutieren Sie mit Ihren Zwangsnachbarn links, rechts, vorne, hinten, einigen Sie sich auf eine Version, das hilft ungemein. Wer eine Erklärung hat, ganz gleich ob sie stimmt, fügt sich leichter ins Unvermeidliche! Lassen Sie Ihre Frau fahren, sagt Voss. Frauen sind regelbewusster! Frauen passen sich leichter an, ärgern sich nicht über Baustellen und Staus!
Herr Voss, Sie kennen meine Frau nicht! Ich fahre bereits ein halbes Leben lang Auto, aus Erfahrung weiß ich: Spurwechsel bringt vor allem dann etwas, wenn sich irgendwo da vorne die Fahrspuren von drei auf zwei verengen. Dann nimm die dritte und fahr sie bis zum Ende aus, was die Amateure nie tun! In allen anderen Fällen rolle ich fatalistisch einher und halte treu die Spur, wie es der Stauforscher dringend rät, um nicht durch scharfes Einscheren und provoziertes Abbremsen neuerliche Stauwellen auszulösen. Meistens tue ich es dann doch. Meine Frau findet stets, dass es auf einer der anderen Spuren schneller vorangeht.
Deutschlands meist zitierter Stauforscher heißt Michael Schreckenberg, er ist Professor für Physik von Transport und Verkehr an der Universität Duisburg-Essen und erläutert Staus gerne anhand der Chaos- und Spieletheorie. Der Professor langweilt sich mutmaßlich nicht, sollte er je selbst im Stau feststecken. Helfen kann er aber auch nicht. Nö, sagt Schreckenberg, lieber nicht auf die Umfahrungs-Tipps des Navis hören! Lieber nicht dem Herdentrieb folgen! Nicht von der Autobahn runter, Ausweichstrecken sind schnell verstopft! Um erst gar nicht in Staus zu geraten, bitte losfahren, wenn alle Medien die schlimmsten Staus vorhersagen! (Schreckenberg kichert und fügt hinzu: Bitte hören Sie nicht alle auf mich, sonst funktioniert es nicht!)
Lieber Schrecki, alte Nervensäge, dabei will ich gar nicht in die Ferien. Morgens lässt man mich nicht zur Arbeit, nachmittags nicht zum Termin, abends nicht nach Hause. Im gesteckt vollen Pendlerzug schließe ich schnell Freundschaft mit Leuten, die auf meinen Füßen steh’n. Könnte man indes die in einem Pendlerstau verdichtete negative Energie aufsaugen und umpolen, es ließe sich damit eine deutsche Mittelstadt vier Wochen lang beheizen. Aber sowas senden die ja nicht. Eher kommt noch ein Experte um die Ecke gebogen. Dr. Eitmann vom Deutschen Institut für Entspannungstechniken empfiehlt: Denken Sie Ihr Leben vom Tod aus rückwärts: Mir bleiben noch vielleicht 30 Jahre, belaste ich mich also nicht mit unnötigen Dingen! Zum Beispiel mit gut gemeinten Ratschlägen von Dr. Eitmann.
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