Die Game-Branche ist solider Mittelstand. Tatsächlich? Aber ticken die Akteure der Spielebranche nicht komplett anders? Kann man auch solide anders sein?

Videospiele sind eine Wette auf die Zukunft, das hat die Spielebranche mit der Börse gemein. Wird das Game ein Knaller, sind die Entwicklungskosten gedeckt, ist die nächste Produktion vorfinanziert. Hat sich das Studio verzockt, bleibt es auf den Kosten sitzen – und diese sind inzwischen ähnlich hoch wie Budgets in der Filmbranche. Es waren denn auch Investmentbanker, die früher als andere auf die Games-Branche in Deutschland setzten. Anfang der Nullerjahre galten die Gamer noch als Schmuddelkinder der Unterhaltungsindustrie – paramilitärisches Geballer, sogenannte Ego-Shooter-Features, waren schlecht fürs Image, obschon sie nur einen kleinen Teil des Geschäfts ausmachten. 2004 befand eine Hamburger Investmentgesellschaft: Die Branche ist erwachsen geworden! Die Banker legten einen Fonds für Unternehmensbeteiligungen auf und warben mit dem Versprechen vom unbegrenzten Wachstum. Sie sollten Recht behalten.

 

Spielebranche, das ist 2018 solider Mittelstand: 90 Prozent der in Deutschland ansässigen Unternehmen machen bis zu fünf Millionen Euro Umsatz im Jahr. Von den rund 14.000 Beschäftigten sind 77 Prozent sozialversicherungspflichtig angestellt. 600 Azubis oder Studierende machen pro Jahr einen Abschluss mit Schwerpunkt Games-Entwicklung. Im Jahr 2015 setzte die Branche 2,8 Milliarden Euro um. Noch Fragen? Ja: Warum gilt das Kino im Vergleich zu den Games immer noch als Hochkultur, obschon die Mehrzahl der Kino-Produktionen nacktes Zahlengeschäft ist – Gebrauchsware, Filme ohne künstlerischen Anspruch, kalkulierte Stoffe, mit denen ausschließlich Kasse gemacht werden soll? Dennoch setzte die deutsche Filmindustrie 2015 nur 1,17 Milliarden Euro um (Musikindustrie: 1,55 Milliarden Euro).

 

Das Herz in Foren ausschütten

Anders gefragt: Was kann man von der Spielebranche lernen? Stefan Marcinek, 40, hat mit Spielen Millionen verdient. Er sagt: „Du musst den Markt kennen und du musst wissen, wer deine Kunden sind.“ Marcinek gründete 2006 in Worms mit einem Geschäftspartner die Kalypso Media GmbH, verkaufte 2015 seine Anteile, gründete 2016 in Wiesbaden Assemble Entertainment und finanzierte im Alleingang in Frankfurt die GermanDevDays, die erste deutschsprachige Gaming-Entwicklerkonferenz.

 

Marcinek ist kein Glücksritter und kein Zocker. Er stammt aus Bottrop, sein Vater arbeitete 45 Jahre lang in der Montage. „Wer vor 50 Jahren mit etwas Neuem an den Markt ging, war auch hip“, sagt Marcinek junior. In den Fünfzigern wusste Bauknecht, was Frauen wünschen: einen Waschvollautomaten! Heute schütten Gamer in Gamer-Foren, auf Social Media und per Mail den Games-Publishern ihr Herz aus. Benennen Schwachstellen, fordern Verbesserungen. Marcinek: „Anders als ein Schraubenhersteller stehen wir in ständigem Austausch mit den Leuten.“

 

Finger und Ohr am Puls der Zeit haben, innovativ sein, digital sowieso. Als Kalypso Media 2007 die ersten Spiele herausbrachte, führte am stationären Handel kein Weg vorbei. Das würde sich ändern, prognostizierten die Eigner und gründeten 2009 in Großbritannien die Media Digital Ltd., um Eigenmarken und Spiele anderer Anbieter online zu vermarkten. „Heute“, sagt Marcinek, „überspringen wir den klassischen Vertriebsweg.“

 

Feedback ist wichtig. Aber es kann nicht jedem Wunsch entsprochen werden. „Wo es noch möglich ist, arbeiten wir nach.“ Andere, wie die Internet-Vertriebsplattform Steam, machen User zu Entwicklern: Early-Access-Spiele, also Produkte, die noch mitten in der Entwicklung stecken, werden zum Vorzugspreis angeboten. Der Deal laut Steam-Werbung: „Bei diesen Spielen sind Sie mit Ihrem Feedback Teil der Entwicklung.“ Kann man machen, sagt Stefan Marcinek. „Aber der Kunde darf nicht zu dem Schluss kommen: Die wollen nur mein Geld.“

Ausgerechnet die Eishockey-Kanadier haben den Fußball virtuell neu erfunden.

Menschen brauchen Führung und Struktur

Das Nerdige haftet der Branche unverändert an: Silicon-Valley-Jungs, die auf selbstorganisierende Arbeitsmodelle drängen – ohne Stechuhr, viel Freiraum; flache Hierarchien, Netzwerke anstelle von Ressorts... Stefan Marcinek denkt konservativ. „Menschen brauchen Führung – und Teams mit mehr als 25 Mitarbeitern eine Struktur.“

 

Anders als etwa beim Film, wo Freiberufler aller Branchen für eine Produktion zusammenfinden, bestehen Gamer-Kernteams aus Festangestellten. Hinzugebucht werden Dienstleistungen wie die Grafik oder die Animation. Der Rest ist Business: Auch Gamer sind nicht 365 Tage im Jahr innovativ. Auch Gamer denken kaufmännisch, unternehmerisch. Setzen auf Bewährtes. Produzieren von einem Knaller-Produkt einen zweiten, dritten, vierten Teil und finanzieren mit dem Erlös Produkte mit höherem Anspruch. Gehen ein kalkuliertes Risiko ein: Im Jahr vor der Fußball-WM in den USA brachten ausgerechnet die Eishockey-Kanadier „FIFA International Soccer“ auf den Markt. Seither legt Electronic Arts jedes Jahr ein neues profitables Fußball-Game auf.

Der Branche geht es gut

Und doch bleiben die Innovation, der Mut zur Kreativität und das Vermögen, in Phantasie- und Parallelwelten abzutauchen, das Kennzeichen der Branche. Der Virtual Reality (VR), einer Erfindung der Game-Entwickler, mag womöglich nicht der erhoffte große wirtschaftliche Erfolg beschieden sein. Indessen nutzt etwa die Medizin VR-Brillen. Bei Patienten mit schweren Verbrennungen kann die Brille Schmerzen lindern, indem sie suggeriert, der Patient stehe inmitten eines herrlichen Winteridylls.

 

Ein Indiz dafür, dass die Gamer längst im System angekommen sind, ist der institutionalisierte Lobbyismus und die Kunst wortreich zu klagen. Gründe dafür gibt es immer, obschon es der Branche gut geht. Auf dem Gamer-Markt rangiert Deutschland auf Platz vier hinter China, den USA und Japan. 3,3 Milliarden Euro geben die Deutschen jährlich für Videospiele aus. Aber nur 14,2 Prozent des Gesamtumsatzes werden mit in Deutschland entwickelten Produkten und Dienstleistungen erwirtschaftet – das große Geld machen Konzerne wie Microsoft, Sony oder Tencent in China. Obschon in Deutschland die Spielebranche die Filmindustrie auf allen Feldern schlägt und sogar mehr Steuern bezahlt, gibt es bislang keine Bundesförderung. Der Film erhält mehr als 300 Millionen Euro im Jahr.

 

Die Kanzlerin, sagt Marcinek, habe beim Besuch der Spielemesse Gamescom in Köln im August 2017 aufmerksam zugehört. Frau Merkel hat offenbar verstanden, mit wem sie es hier zu tun hat. Mit zeitgenössischen Vertretern des soliden Mittelstands.

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