Unternehmen sollten nicht abwarten und schauen, was passiert, wenn 2020 das 5G-Wunder aufschlägt. Überlegen Sie heute: Was können Sie in Ihrem Werk alles stemmen, wenn Sie die hundertfache Leistung zur Verfügung haben? Fachleute animieren, aktiv und kreativ zu werden. Indessen erinnern Forscher und Entwickler ein wenig an Jahrmarktsverkäufer. Sie haben Visionen und Prognosen, aber noch wenig in der Hand. Sie raunen von Augmented Reality, Connected Cars, 3D-Lösungen oder Smart Living und von Geschäftsmodellen und Nutzungskonzepten, die wir heute noch nicht einmal erahnen könnten. Ohne 5G, behaupten sie, sei echter Fortschritt wie autonomes Fahren oder Telemedizin gar nicht möglich: Gäbe es heute schon überall selbstfahrende Autos, würden sie angesichts der aktuellen Infrastruktur mit Tempo 30 dahinschleichen.
Erkläre 5G einem Fünfjährigen: Damit lädst du dir in zehn Sekunden einen 90-minütigen Film aufs Handy! Forscher und Techniker sind begeistert wie Kinder: „Mit 5G ändert sich die Welt!“, sagt Dr. Andreas Müller (Bosch). Hyun Suk Kim (Samsung) spricht von Revolution. Von Evolution gar Prof. Thomas Magedanz (Fraunhofer Institut FOKUS).
Tatsächlich geht es nicht ums Handy und ums Downloaden von Filmen. 5G soll die Wirtschaft im Wettbewerb halten. Deutschland ist im digitalen Ranking unter den Ländern mit digitaler Infrastruktur auf Platz sechs abgerutscht. Das Land hat mehr Funklöcher als Albanien. Auch wenn die Experten sofort einwenden: 5G wird keine Funklöcher stopfen! Aber ohne 5G werden Funklöcher das geringere Problem sein. Dazu gleich.
Internet – fix wie ein Fingerdruck
2020 soll das 5G-Netz verfügbar sein, parallel zum bestehenden LTE-Netz (4G). 5G ist die nächste Entwicklungsstufe und der Versuch, einer Datenflut Herr zu werden, die sich weltweit alle zwei Jahre verdoppelt. Mit 5G ist Internet so schnell wie ein Fingerdruck und überträgt Daten quasi in Echtzeit. In weniger als einer Millisekunde. Unfassbar hohe Datenmengen sind in irrem Tempo verfügbar. In Zahlen ausgedrückt: eine 100-mal höhere Datenrate als im LTE-Netz! Spitzenübertragungsraten von mehr als zehn Gigabit pro Sekunde! Robuste Funkverbindungen bei drastisch geringerem Stromverbrauch!
Was heißt das für die Praxis? Wenn Sie in Ihrem Betrieb alle für die Produktion relevanten Geräte per Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) vernetzen, wird der Produktionsablauf in Echtzeit am Server abgebildet. Sie sind nicht mehr auf Daten der Steuerung angewiesen. Das System merkt, wenn ein Ersatzteil nötig ist und bestellt es.
Ein schnelles Netz steigert die Effizienz. Allerdings ist Geschwindigkeit nicht alles: „Wichtig sind sichere, verlässliche Verbindungen, die es mit kabelgebundenen Systemen aufnehmen“, sagt Prof. Slawomir Stanczak vom Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik. Gerade der Mittelstand hege noch große Bedenken in puncto Zuverlässigkeit und Robustheit der Funkverbindungen. „Das bremst Entwicklungen der Machine-to-Machine (M2M)-Vernetzung und letztlich Industrie 4.0.“ Fraunhofer arbeitet an sicheren dezentralen Datencentern und abhörsicheren Digital-Verbindungen.
Unternehmen sollten nicht abwarten und schauen, was passiert, wenn 2020 das 5G-Wunder aufschlägt. Überlegen Sie heute: Was können Sie in Ihrem Werk alles stemmen, wenn Sie die hundertfache Leistung zur Verfügung haben? Fachleute animieren, aktiv und kreativ zu werden. Indessen erinnern Forscher und Entwickler ein wenig an Jahrmarktsverkäufer. Sie haben Visionen und Prognosen, aber noch wenig in der Hand. Sie raunen von Augmented Reality, Connected Cars, 3D-Lösungen oder Smart Living und von Geschäftsmodellen und Nutzungskonzepten, die wir heute noch nicht einmal erahnen könnten. Ohne 5G, behaupten sie, sei echter Fortschritt wie autonomes Fahren oder Telemedizin gar nicht möglich: Gäbe es heute schon überall selbstfahrende Autos, würden sie angesichts der aktuellen Infrastruktur mit Tempo 30 dahinschleichen.
Tipps aus dem Auto vor mir
Tatsächlich ist 5G bereits für herkömmliche Autos, die untereinander Sensordaten austauschen, interessant: Der mit 5G vernetzte Bordcomputer wird vom vorausfahrenden Wagen über das Glatteis in der nächsten Kurve informiert.
5G soll künftig ein komplettes Industriegebiet wie den Hamburger Hafen pushen. Dort sind unzählige Maschinen und Instrumente miteinander vernetzt. Pro Quadratkilometer Fläche soll 5G etwa eine Million Geräte verbinden. In einem weltweit ersten Feldversuch lassen Hamburgs Hafenbehörde, Deutsche Telekom und Nokia seit Februar 2018 das Internet der Dinge auf die Wirklichkeit los. Es werden Messwerte via mMTC (Massive Machine-Type Communication) erfasst. cMTC (Critical Machine Type Communication) sorgt für kabellose Funksignale, etwa bei Robotern oder in der Anlagen-Steuerung. Um die Tauglichkeit des 5G-Wunders zu testen, wurden drei Schiffe mit Sensoren bestückt. Per 5G-Modem liefern sie Positionsdaten für die Lotsen. In einem zweiten Versuch regelt eine ferngeschaltete Ampel im Idealfall den Schiffsverkehr so, dass Staus vermieden werden.
Auch das klingt, für sich genommen, wenig revolutionär. 5G sorgt immer dann für Ahs und Ohs, wenn Großes angekündigt wird: Das US-Telekommunikations-Unternehmen Verizon etwa will via 5G eine Million Drohnen steigen lassen.
Während Deutschland die Technik gründlich testet, schaffen andere Fakten. China hat 24 Milliarden Dollar in 5G investiert und 350.000 Mobilfunkmasten aufgestellt, doppelt so viele wie die USA. Deutschland plant 1.000 5G-Basisstationen und 500 neue Masten. Forschungsministerin Anja Karliczek erntete Hohn und Spott mit ihrem Milchkannen-Vergleich („5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig“). Sogar der Bauernverband empörte sich und forderte „5G bis an jeden Milchtank!“. 5G helfe dabei, Dünger und Pestizide präzise auszubringen und den Kuhstall elektronisch zu managen. Aber auch BDI-Präsident Dieter Kempf verweist auf die geringe Reichweite: Es sei Unsinn, alle 500 Meter einen 5G-Mast aufzustellen.
„Um Vorreiter bei Industrie 4.0 sein zu können, muss Deutschland auch Leitmarkt für 5G werden“, appelliert beinahe schon flehentlich die Fraunhofer-Gesellschaft. Telekom-Chef Tim Höttges räumt inzwischen ein, zu lange gezögert zu haben. „Wir haben nicht mit den Produktentwicklern geredet, die 5G einsetzen wollen.“ Jetzt soll alles schnell gehen. Bis 2025 sollen 99 Prozent der Bevölkerung und 90 Prozent der Fläche versorgt sein.
Die Industrie macht es selbst
Wenn jetzt, im zweiten Quartal 2019, die 5G-Lizenzen für viel Geld versteigert werden, will die Bundesnetzagentur dafür sorgen, dass auch regionale Netzbetreiber, kleine und mittlere Unternehmen oder Start-ups zum Zuge kommen, ebenso Gemeinden und die Land- und Forstwirtschaft.
Die Industrie aber mag nicht länger auf Telekom, Vodafone und Co. warten. Konzerne wie ABB, Audi, BASF, Bosch, Sennheiser, Siemens, Daimler und VW wollen auf ihrem Werksgelände investieren und eigene Campus-Netze aufbauen. Von einem „Akt der Befreiung“ spricht Michael Ziesemer, Präsident des Zentralverbandes der Elektrotechnik- und Elektroindustrie (ZVEI). Die Industrie mache sich unabhängig von den Mobilfunkbetreibern. Die Bundesnetzagentur macht mit und will erstmals in Europa 5G-Frequenzen an Unternehmen vergeben.
Ob 5G je kommerziell erfolgreich sein und die hohen Investitionskosten wieder einspielen wird, auch das weiß heute niemand. Die Diskussion über 5G hat gerade erst begonnen. Die elektromagnetische Hochfrequenzstrahlung, warnen Wissenschaftler, kann Krebs erzeugen und das Erbgut schädigen.